Mitternachtsspitzen

Ausgewählter Beitrag

DES PUDELS KERN

Schon als kleines Mädchen hatte ich mit dem lieben Gott meine Not. Ich dachte wohl, dass es ihn gab; jemand musste schließlich die Erde erschaffen haben, die Tiere, die Blumen, die anderen Menschen und mich selbst. Nur das Bild des alten, gütigen, weisen Mannes mit Bart, das man uns Kindern von ihm malte, passte mir nicht. Für diese Darstellung waren die älteren Herren, die ich kannte, nämlich meine beiden Großväter, einfach zu schlechte Vorbilder.

Ebenso missfiel mir der Gedanke, Gott säße irgendwo im Himmel und würde nur darauf lauern, dass ich etwas Verbotenes tat, wofür er mich bestrafen konnte. Diese Angst wird in nahezu allen Religionen geschürt: "Wenn du gegen eines der Gebote verstößt, nicht blind gehorchst, dich nicht klein machst oder dich der höchsten Autorität widersetzt, musst du auf ewig in der Hölle die furchtbarsten Qualen erdulden." Angst essen Seele auf, heißt es; aber Gott ist sicherlich kein Kannibale.


Am wenigsten behagte mir die Vorstellung des angeblichen Getrenntseins von Gott. Er als der Allmächtige da oben, ich als kleines, unbedeutendes Würmchen hier unten - nach meinem Empfinden konnte das so nicht stimmen. Schon früh hatte ich mich der Natur verbunden gefühlt. Ich erinnere mich noch, wie ich meiner Omi erzählte: "Weißt du, ich glaube, der liebe Gott wohnt im Wald!", und sie antwortete: "Ja, mein Kind, der liebe Gott wohnt überall und in Allem, in jedem Blümchen, in jedem Baum und in jedem Tier." Diese Art zu glauben nennt man Pantheismus oder Neuheidentum, welchem ich mich mittlerweile zugewendet habe -, doch das wussten wir beide damals natürlich nicht.


Es gibt nichts Getrenntes, alles ist mit allem verwoben. Dazu passt auch das Zitat des großen Mahatma Gandhi: „Du und ich, wir sind eins. Ich kann dir nicht wehtunh, ohne mich zu verletzen.“


Verstehen und Verzeihen heißen die Zauberwörter in der großen, himmlischen Familie. Einer Familie, in der es - anders, als es in meiner irdischen der Fall war - statt vieler Ungerechtigkeiten, Eifersucht und Neid nur gegenseitiges Verständnis, Harmonie und Freude gibt. Als ein Teil davon habe ich die heilige Pflicht und Schuldigkeit, allem Lebendigen - einschließlich mir selbst - mit größtmöglicher Achtung und Liebe zu begegnen. Sie kennen das: Wenn Sie einen flachen Stein ins Wasser werfen, zieht er zunächst nur enge, dann immer weitere Kreise. Vielleicht verhält es sich mit guten Gedanken und Taten ganz ähnlich.


Wie passen die von mir so geliebten Engel in dieses märchenhafte Bild? Ich betrachte sie als meine himmlischen Geschwister, die immer für mich da sind und auf die ich mich jederzeit verlassen kann.


Manch einem werden solche Ideen wohl allzu naiv und weltfremd erscheinen. Für mich sind sie des Pudels Kern. Vielleicht versetzt mein Glaube keine Berge. Doch ich bin schon zufrieden, wenn es mir gelingt, ein paar von den winzigen Steinchen zu beseitigen, die uns manchmal in die Schuhe geraten und so gemein an den Fußsohlen pieken.



Nickname 18.03.2024, 17.53

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ÜBER MICH:Geboren vor 68 Jahren als waschechte Berliner Pflanze, mit reinem Spreewasser getauft und in der Heimatstadt fest verwurzelt geblieben.
Verheiratet mit dem besten aller Ehemänner und glückliches Frauchen von neun allerliebsten Fellnasen.





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