Ausgewählter Beitrag
GRAUE THEORIE GANZ IN WEISS - EIN STÜCK FAMILIENGESCHICHTE
"…ein graues Haar tut doch nicht weh; es sagt dir nur, dass du noch lebst!", so behaupten es Brunner & Brunner in einem ihrer erfolgreichsten Schlager. Na schön, ein einzelnes lasse ich mir ja noch gefallen, oder ich rupfe es kurzerhand aus. Aber wie fühlt es sich an, wenn jemand plötzlich über Nacht komplett graue Haare kriegt? Geht das überhaupt? Darüber streiten sich die Gelehrten.
Dermatologen sagen, grundsätzlich nein. Genau genommen wird unser Haar auch gar nicht grau, sondern weiß. In den Haarwurzeln sitzen Zellen, die Pigmente bilden – so genannte Melanoyzyten - und unseren Haaren ihre Farbe geben. Mit den Jahren verlieren sie diese Fähigkeit und so wachsen weiße, also farblose Haare nach. Das passiert aber nicht bei allen Zellen gleichzeitig. Dadurch mischen sich dunkle und weiße Haare. Das Gesamtbild erscheint dann grau. Bei manchen beginnt dieser Prozess schon recht früh.
Das ist genetisch bedingt. Diese Menschen haben besonders sensible Pigmentzellen, bei ihnen versiegt die Farbproduktion viel früher als bei den anderen. Es wird uns also in die Wiege gelegt, wann wir grau werden.Rein aus medizinischer Sicht mag das alles stimmen. Psychologen meinen aber, dass Kummer oder extremer Stress einen Menschen durchaus innerhalb kürzester Zeit ergrauen lassen können.
Mein Papa war ein Beispiel dafür. Er kam als letztes von drei Kindern zur Welt. Der Kronprinz und das Wunschmädchen waren bereits geboren; daher betrachtete sein Vater ihn eher als überflüssiges Anhängsel. Beim Alten Fritz (so lautete der Spitzname meines Großvaters) drehte sich alles ums Geld. Dementsprechend suchte er sich nach dem frühen Tod meiner Großmutter eine ebenso reiche wie bösartige Frau, die mit Fleiß und Erfolg alles daran setzte, einen endgültigen Keil zwischen die Geschwister zu treiben.-Geiz ist geil, dieser Slogan hätte von ihm stammen können. Für den Erstgeborenen und das Töchterchen war ihm allerdings nichts zu teuer; da blieb für den Jüngsten kaum etwas übrig. Notgedrungen bezahlte er diesem das Studium, aber damit hatte es sich. Als mein Vater ihm dann meine, aus bescheidenen Verhältnissen stammende Mutter vorstellte, sagte er: "Wenn du die da tatsächlich heiratest, brauchst du nicht mehr nach Hause zu kommen."
Natürlich heirateten die Beiden trotzdem. Zur eigenen Wohnung langte es vorerst nicht, und so bezogen sie die kleine Mansarde im Haus meiner Großeltern. Immerhin brauchten sie ein paar einfache Möbel, für die mein Papa einen Wechsel über zweihundert Mark unterschrieb. Der wurde eines Tages fällig - nur hatten meine Eltern kein Geld, um ihn einzulösen. In seiner Not suchte Papa seinen Vater auf und bat ihn, ihm die Summe zu leihen. Der Alte Fritz zückte sein Portemonnaie, drückte seinem Sohn ein Geldstück in die Hand und sagte: "Hier hast du fünf Mark, nun lass mich in Ruhe." Dabei lief seine Firma glänzend, und er hätte, ohne es überhaupt zu merken, die Schulden seines Jüngsten begleichen können. Wie die Familie erzählte, wurde nach diesem Erlebnis das Haar meines erst dreißigjährigen Vaters über Nacht schlohweiß.
Ins Gefängnis brauchte er wegen des fälligen Wechsels glücklicherweise jedoch nicht. Seine Schwiegereltern, die – wie alle damals in den Fünfzigern – selber hohe Schulden hatten, kratzten das Geld irgendwie zusammen. Mit meiner Omi verband ihn ohnehin von Anfang an ein besonders inniges „Bratkartoffelverhältnis“. Sie nahm ihn auf wie ihren eigenen Sohn, nachdem sein Vater Wort gehalten und ihn wegen seiner Mésalliance mit „der da aus der Hundehütte“ hinausgeworfen hatte.
Jahrzehnte lang blieb mein Papa seinem weißen Schopf treu. Erst als seine Haare mit zunehmendem Alter zu vergilben begannen, färbte er sie silbergrau. Als ihn seine Schwiegermutter zum ersten Mal so sah, lächelte sie, strich ihm über den Kopf und meinte süffisant: „Du eitler Fratz!“ Das sagte die Richtige – gerade sie, die noch mit 94 Jahren ihre Haare nachtönen ließ, sobald sie am Ansatz nur eine einzige weiße Stelle entdeckte!
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Die seine wird es -
die deine hoffentlich auch, Mensch!
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